Das Rätsel des Urknalls – Prof. Klaus Desch im Interview

Woraus besteht eine Zigarre? Klar: Deckblatt, Umblatt, Einlage. Aber auch aus Protonen und Neutronen, Up-Quarks und Down-Quarks. Genauso wie der Raucher selbst auch – und wie alle Materie. Woraus genau unsere Welt besteht, erforschen Physiker mit der imposantesten Maschine der Welt. Ein Gespräch mit Physikprofessor Klaus Desch über den aufregendsten wissenschaftlichen Versuch der Menschheit.

Das Rätsel des Urknalls – Prof. Klaus Desch im Interview

Was geschah beim Urknall? Woraus besteht das Universum? Woher kommt die Masse – und wo ist die Antimaterie? Bei der Beantwortung dieser großen physikalischen Fragen soll eine Maschine helfen. Diese Maschine heißt Large Hadron Collider (LHC) und ist der größte Teilchenbeschleuniger der Welt.

Der LHC ist ein 27 km langer ringförmiger Tunnel, der in etwa 100 Metern Tiefe unter der Erde im Grenzgebiet zwischen Frankreich und der Schweiz bei Genf liegt. Betrieben wird der Teilchenbeschleuniger vom europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf. Gegründet wurde das CERN 1954, ihm gehören 20 Mitgliedsstaaten an. Deutschland ist Gründungsmitglied dieser internationalen Gemeinschaft, in der 8000 Wissenschaftler aus 85 Nationen forschen. 14 Jahre lang wurde an dem Beschleuniger gebaut, bis er 2008 in Betrieb genommen wurde.

Das Rätsel des Urknalls – Prof. Klaus Desch im Interview

Warum werden Teilchen beschleunigt und kollidiert? Das Standardmodell der Teilchenphysik funktioniert nur, wenn die Teilchen keine Masse haben. Wie die Teilchen ihre Masse erhalten haben, ist bisher ungeklärt. Seit der britische Physiker Peter Higgs 1964 dazu eine plausible Theorie vorgestellt hat, suchen Forscher auf der ganzen Welt nach dem sogenannten „Higgs-Teilchen“ – hauptsächlich am LHC. Im LHC rasen zwei gegenläufige Teilchenstrahlen mit annähernd Lichtgeschwindigkeit rund 11.000 mal pro Sekunde durch den Ring. An vier Stellen prallen die Teilchenstrahlen aufeinander. Unterschiedliche Detektoren messen, was bei und nach dem Aufprall geschieht. Auf diese Weise werden Zustände wie unmittelbar nach dem Urknall simuliert – und das Higgs-Teilchen gesucht.

Prof. Klaus Desch ist Physiker an der Universität Bonn und häufig in Genf bei der Arbeit „untertage“ zu finden. Er beantwortet uns einige Fragen zu der „Weltmaschine“.

Alles André: Der LHC ist nicht der erste und nicht der einzige Teilchenbeschleuniger der Welt. Warum war er nötig?

Klaus Desch: Teilchenbeschleuniger sind wie Mikroskope – sie erlauben uns den tiefsten Blick ins Innere der Materie. Wie tief man schauen kann, hängt von der Energie der Teilchen ab. Mit dem LHC können wir nun etwa siebenmal tiefer in die Materie schauen als mit irgendeinem früheren Beschleuniger. Das ist also wie ein Mikroskop mit 7-fach besserer Auflösung. Wir hoffen, damit grundlegend neue Phänomene des Mikrokosmos zu entdecken – etwa das ominöse Higgs-Teilchen oder vielleicht die Teilchen, die für die Dunkle Materie im Universum verantwortlich sind.

AA: Das CERN wird staatlich finanziert. Warum gibt es für diese Form der Grundlagenforschung kein privatwirtschaftliches Sponsoring? Immerhin ging (und geht) der LHC weltweit durch die Medien.

K. D.: Das öffentliche Interesse am LHC freut uns sehr. Es bestärkt uns in unserer Überzeugung, dass die Suche nach Antworten auf die grundlegendsten Fragen an unser Universum sehr menschliche Fragen sind – Fragen, die die menschliche Neugier befriedigen und unser Weltbild beeinflussen können. Und das, obwohl die erhofften Erkenntnisse realistisch betrachtet keine unmittelbare technische Anwendung erlauben, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Vielleicht ist das der Grund, warum „Sponsoring“ bei uns nicht stark verbreitet ist. Dennoch haben wir sehr gute Kontakte zur Industrie, die häufig mit CERN und den beteiligten Universitäten neue Technologien entwickelt, die dann auch anderweitig verwertbar sind.

AA: Geht da eine kulturelle Haltung, eine kulturelle Verantwortung verloren, wenn Grundlagenforschung nur noch nach industrieller Verwertbarkeit bewertet wird?

K. D.: Nun ja – ich halte Grundlagenphysik in der Tat für eine kulturelle Aufgabe. Und genauso, wie wir gegen die Schließung von Theatern protestieren, sollten wir uns dieses kulturelle Luxusgut erhalten. Ich habe aber das Gefühl, dass die „Und wozu ist das gut?“-Frage immer schnell verstummt, wenn wir Physiker in Schulen oder zu öffentlichen Vorträgen gehen. Die Leute sind dann schnell begeistert. Zur Ausstellung „Die Weltmaschine“ in Berlin kamen über 30.000 Besucher und mittlerweile tourt die Ausstellung quer durch die Republik, immer mit großem Erfolg.

Das Rätsel des Urknalls – Prof. Klaus Desch im Interview

AA: Das Surfen im World Wide Web haben wir, sozusagen als echtes Abfallprodukt, den Teilchenphysikern zu verdanken. Gibt es auch andere Beispiele, bei denen direkt aus der Grundlagenforschung ein Anwendungsnutzen entstanden ist?

K. D.: Ja, das ist richtig, dass das „Browsen“ von den Teilchenphysikern erfunden wurde. Und viele andere Technologien werden von den extremen Anforderungen der Experimente der Teilchenphysik vorangetrieben. Unsere Nachweisgeräte für Teilchen finden vielfache Anwendungen z.B. in der Medizintechnik – „Digitales Röntgen“ beispielsweise ist ein Projekt, das es erlaubt, Aufnahmen schnell und mit hoher Auflösung – und damit schonender für die Patienten – zu machen. Neue Materialien, beispielsweise für den Flugzeugbau, lassen sich mit speziellem Licht aus Teilchenbeschleunigern untersuchen und charakterisieren. Am DESY in Hamburg wird zurzeit der europäische Röntgenlaser (XFEL) gebaut – hauptsächlich mit sehr anwendungsorientierten Zielen – auch dies ist, wenn Sie so wollen – ein Abfallprodukt der Teilchenphysik. Das „Abfallprodukt“, auf das wir allerdings am stolzesten sind, sind unsere „bright kids“, Absolventinnen und Absolventen der Teilchenphysik, die nach ihrer Promotion in die freie Wirtschaft gehen. Die gehen weg wie warme Semmeln.

AA: Urknall, Universum, Dunkle Materie … für den Laien klingen die Erklärungen und Geschichten rund um den LHC schnell nach Sciencefiction. Das macht aber natürlich auch einen starken Reiz aus. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung wirbt sogar mit dem Slogan „Die Weltmaschine“. Wie empfinden Sie als Experte diese Mythologisierung des LHC?

K. D.: Das ist ja ganz natürlich, wenn man an den wissenschaftlichen Fundamenten kratzt, dass es dann zur Metaphysik, zur Philosophie – wenn Sie wollen, auch zum Mythos – nicht weit ist. Ich glaube, wir wissen zwar selbst sehr genau, wo die Grenze zwischen Physik und Metaphysik ist. Aber wir sind auch nicht immun gegen eine gewisse Mystifizierung dessen, was wir tun. Das sieht man an blumigen Begriffen wie „Urknall“, „Top-Quark“, „Grand Unification“ oder gar „God’s Particle“ – ein unseliger Begriff, den Nobelpreisträger Leon Lederman einmal für das Higgs-Teilchen verwendet hat. Nun ja – solange dies die Phantasie anregt und die Menschen zum Nachdenken über die Welt bringt, finde ich das völlig in Ordnung. Wer beim Betrachten des Sternhimmels in einer klaren Sommernacht nur sachlich nüchtern Sternbilder identifiziert, ist selbst schuld.

AA: In den Medien wird immer sehr leichtfertig einem Produkt „Hightech“ attestiert – selbst wenn es sich nur um ein neues Rasiergerät handelt. Wo fängt Hightech an, was ist am LHC Hightech?

K. D.: Hightech ist natürlich immer relativ. Ein Transistorradio war in den Fünfzigern absolute Hightech und erscheint uns heute trivial. Viele Instrumente, die wir am LHC einsetzen, müssen wir selbst entwickeln, weil man sie nirgendwo kaufen kann. Eine bestimmte Sorte Teilchendetektor zum Beispiel, der sogenannte Pixeldetektor, funktioniert ähnlich wie eine Digitalkamera mit 100 Megapixeln. Das wäre nicht so weit weg von dem, was man bei jedem Discounter kaufen kann. Wenn man dann aber (wie bei uns) eine Kamera braucht, die 40 Millionen Bilder in der Sekunde schießt und nach zwei Mikrosekunden selbst entscheidet, ob es ein interessantes Bild war, dann halte ich das für Hightech.

AA: Woran arbeiten und forschen Sie am LHC?

K. D.: In meiner Arbeitsgruppe suchen wir vor allem nach sogenannten supersymmetrischen Teilchen. Wenn es die geben sollte, wäre das eine Revolution der Physik, ähnlich wie bei der Entdeckung der Antimaterie. In einer supersymmetrischen Welt gäbe es keinen grundlegenden Unterschied mehr zwischen Materie und Kräften – im philosophischen Sinn vielleicht „Die Dinge und die Beziehungen zwischen den Dingen sind nur unterschiedliche Erscheinungsformung von demselben ‚Etwas‘“. Ist doch spannend, oder?

AA: Unser Heft handelt vom Reiz der Maschinen und der Mechanik. Können Sie sich auch noch für eine simple Dampfmaschine begeistern?

K. D.: Aber klar doch! Ich bin ja nicht nur Forscher, sondern auch Hochschullehrer. Im laufenden Semester halte ich die „Mechanik“-Vorlesung für die Erstsemester. Dort wird viel experimentiert, auch mit Dampfmaschinen. Und man lernt jedes Mal etwas Neues, wenn man sich damit beschäftigt – das ist das Schöne an der Physik.

P.S.: Klaus Desch kann nicht nur Teilchen beschleunigen, er ist auch flink auf dem Piano.

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