Interview mit Prof. Klaus Desch zum Thema „Zeit“ [aus dem Heft]

Was ist Zeit? Kann es Zeitreisen geben? Für die Alles André-Ausgabe zum Thema „Zeit“ befragten wir den Bonner Physik-Professor Klaus Desch. Das Interview gibt es hier.

Physik-Professor Klaus Desch im Interview
Physik-Professor Klaus Desch beantwortet Fragen zur Zeit

 
Wenn man Zeit physikalisch betrachtet, kann einem schnell schwindelig werden. Spätestens seit Einsteins Relativitätstheorie (zur Erinnerung: Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat, E = mc2) ist es mit einer einfachen Vorstellung von Zeit und Raum vorbei. Wer blickt da noch durch? Wir nicht. Deshalb haben wir Klaus Desch gefragt. Der Professor für Physik an der Universität Bonn forscht auch am Genfer CERN. Dort wird untersucht, woraus das Universum besteht und wie es entstanden ist. Klaus Desch beantwortet unsere Fragen zur Zeit.

Fragen und Antworten zur Zeit

 

Kann man die Frage „Was ist Zeit?“ einfach beantworten?

Für Physiker ist die Zeit die nullte Komponente eines Vierervektors im Minkowskiraum. (grinst) Das ist einfach, oder? Im Ernst, es gibt kaum etwas Verwirrenderes als Zeit. Wenn man erstmal anfängt darüber nachzudenken, wird einem schnell schwindelig.

Albert Einstein Collage
Albert Einstein ist der Erfinder der Relativitätstheorie

Zu Schulzeiten habe ich ein Schillerzitat kennengelernt: Dreifach ist der Schritt der Zeit: Zögernd kommt die Zukunft hergezogen, Pfeilschnell ist das Jetzt entflogen, Ewig still steht die Vergangenheit. Das beschreibt vielleicht ganz gut unser Empfinden der Zeit. Eine Definition ist es natürlich nicht. Dass es schwierig ist, Zeit zu definieren, zeigt schon, wie sich Newton (1686) behelfen musste: Die absolute, wahre und mathematische Zeit verfließt an sich und vermöge ihrer Natur gleichförmig und ohne Beziehung auf irgendeinen äußeren Gegenstand. Newton sagt also auch nicht, was Zeit ist, sondern wie sie verfließt und dass sie wahr und absolut sei. Und er sagt es ohne Begründung, als Axiom, einfach nur, um überhaupt weitermachen zu können.

Schiller und Newton widersprechen sich da ziemlich, zumindest auf den ersten Blick. Und natürlich hat Einsteins Relativitätstheorie unsere Vorstellung der Zeit weiter relativiert. Trotzdem ist die Newton’sche Vorstellung immer noch die Basis dessen, was wir unter Zeit verstehen. Ein Beobachter, der eine perfekte Uhr bei sich hat, wird nie beobachten, dass die Uhr plötzlich schneller oder langsamer geht, die Uhr tickt immer gleichförmig vor sich hin, egal ob er im Bett liegt oder sich gerade einem schwarzen Loch nähert. Interessant wird es erst, wenn er seine Uhr mit anderen Uhren vergleicht, die in der Zwischenzeit etwas anderes durchgemacht haben. Dann können seltsame Dinge passieren, die mit unserer intuitiven Wahrnehmung der Zeit nicht so recht zusammenpassen.

Hat die Zeit Anfang und Ende?

Tja, eine bedrohliche Frage, denkt man. Auch hier liegt, so wie wir die Dinge heute verstehen, die Antwort im Auge des Betrachters bzw. des Beobachters, einer der Lieblingsbegriffe, wenn man über Zeit redet. Wenn wir von heute aus unser Universum anschauen, dann sieht es so aus, dass, je weiter man zurückschaut, sich Dinge immer schneller, also in immer kürzeren Zeitabständen abgespielt haben (in unserem Zeitmaß, also mit unserer Uhr gemessen, wohlgemerkt). Und es sieht so aus, als ob sich alles, was wir im Prinzip beobachten können, in den letzten 13,81 Milliarden Jahren abgespielt hat.

Vor 13,81 Milliarden Jahren war das Universums winzig klein und es sieht (von heute aus betrachtet) so aus, dass es „beliebig“ klein war und dass es keine Ereignisse gibt, die länger als diese Zeitspanne zurückliegen. Ja, und dann liegt die Vermutung (oder besser die Beschreibung) nahe, dass das Universum damals „entstanden“ ist oder „angefangen“ hat, also auch die Zeit. Warum wir Physiker das dann „Urknall“ nennen, ist eher eine soziologische Frage, mit der auch einiger Unfug veranstaltet wird. Geknallt hat da jedenfalls nichts.

So faszinierend die Urknall-Idee ist, sie hat aus meiner Sicht einen Haken. Der Haken ist das, was Mathematiker eine Singularität nennen, also etwas, was passiert, wenn man z. B. durch null teilt. Solche Singularitäten sind zwar oft gut, um Dinge quantitativ zu beschreiben, stoßen aber immer auch an Grenzen. Punktförmige Teilchen (die wir wahnsinnig erfolgreich benutzen, um den Mikrokosmos zu beschreiben) sind auch solche Singularitäten. Das funktioniert gut, hat aber vermutlich als Modell auch seine Grenzen. Deshalb erscheint es mir durchaus sehr plausibel, dass auch die Singularität „Urknall“ eine Näherung ist, die unser Universum so gut beschreibt, dass man umgangssprachlich sagen kann „Es gibt den Urknall“, aber dann ist es vielleicht eben doch nur eine Näherung.

Die Frage nach dem Ende der Zeit scheint andererseits „unproblematisch“ beantwortet zu sein. So wie die kosmologischen Beobachtungen derzeit aussehen, wird sich unser Universum immer weiter ausdehnen, benachbarte Galaxien werden sich immer weiter voneinander entfernen. Es wird also recht einsam werden. Eine weitere Singularität (oder auch nur die Annäherung daran) ist nicht in Sicht.

Wie kommt es zum Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft?

Ereignisse laufen zeitlich immer so ab, dass die Ursache vor der Wirkung kommt. Das gibt der Zeit eine natürliche Richtung. Das ist eine Beobachtung, die sich mit dem Konzept einer verfließenden, also gerichteten Zeit beschreiben lässt. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, was es bedeuten würde, wenn Vergangenheit und Zukunft gleichberechtigt wären. Interessant ist allerdings, dass viele Prozesse in der Natur ablaufen, die genauso aussehen würden, wenn die Zeit rückwärts liefe. Denken Sie z.B. an die Kollision zweier Billardkugeln. Wenn Sie einen Film der Kollision einmal vorwärts zeigen und einmal rückwärts, dann kann man nicht entscheiden, welches das Original ist. Bei einem Video, auf dem jemand eine Zigarre raucht, werden Sie schnell entscheiden können, wie die Zeit läuft. (lacht) Und das, obwohl alle elementaren Prozesse, die dabei relevant sind, auch umgekehrt laufen könnten.

Der Bonner Physiker Rudolf Clausius hat dies als einer der Ersten erkannt und eine physikalische Größe eingeführt, die in einem abgeschlossenen physikalischen System niemals kleiner wird, anhand derer man also die Richtung der Zeit ablesen kann.

Kann es Zeitreisen geben?

Ja klar. (lacht) Man muss sich aber wohl erstmal fragen, was das heißt. Eine Zeitreise in die Zukunft bedeutet, dass zwischen Beginn und Ende der Reise die eigene Uhr weniger oft getickt hat als die Uhr an dem Ort, den man besucht, mehr nicht. Wenn beispielsweise Alexander Gerst von seiner ISS-Mission zurückkommt, wird seine Uhr etwa eine hundertstel Sekunde weniger Zeit anzeigen, als seit seinem Abflug auf der Erde vergangen ist. Er ist dann also wirklich in die Zukunft gereist. Zeitreisen in die Vergangenheit sind nach wie vor arg umstritten. Zwar kann man Lösungen der Gleichungen der allgemeinen Relativitätstheorie finden, die sehr bizarre Eigenschaften haben (die berühmten Wurmlöcher gehören dazu), allerdings scheinen diese Lösungen in unserem Universum nicht realisierbar.

Die logischen Paradoxa, die sich aus Zeitreisen in die Vergangenheit ergeben, sind natürlich faszinierend.

Paralleluniversen, Viel-Welten-Theorie …
Was halten Sie davon?

Das sind schon interessante Gedanken. Es spricht zunächst einmal nichts dagegen, die Existenz von kausal nicht miteinander verbundenen Regionen der Raumzeit anzunehmen.

Wir fragen uns ja oft, warum unser Universum genau so ist, wie es ist, obwohl es auch ganz anders hätte sein bzw. werden können. Und wenn wir keine plausiblen Gründe dafür finden, liegt es auf der Hand, zu behaupten, es ist nur ein Universum von vielen, und in den anderen sieht alles ganz anders aus, und zufällig ist unseres halt so, wie es ist.

Besonders befriedigend finde ich persönlich solche Ideen nicht – letztlich ist das für mich nur eine andere Formulierung dafür, dass wir keine Gründe dafür angeben können, warum die Naturkonstanten die Werte haben, die wir messen. Da wir Menschen uns mit Ohnmacht aber nur ungern abfinden, betten wir diese Ohnmacht in größere Gebilde ein, die wenigstens die Ohnmacht „erklären“.

Zu philosophisch? Ein bisschen mehr ist hinter diesen Multiversum-Theorien dann doch. Wir können zumindest überprüfen, ob sich unser Universum so verhält, dass es kompatibel damit ist, nur eines von vielen zu sein. Und das ist doch schon mal spannend.

Mögen Sie Science-Fiction-Filme und wenn ja, welche sind Ihre Favoriten?

Na klar, aber ich bin da sehr einfach gestrickt. Star Trek und Raumpatrouille Orion sind meine Lieblinge. Ich mag es, wenn es in den unendlichen Weiten auch mal menschelt. Und sei es bei den Außerirdischen.

 

Mehr rund um die Zeit gibt es in der aktuellen Ausgabe von Alles André zu lesen. Noch kein Abonnent? Hier kann man Alles André kostenlos bestellen.

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