Richard Cordes im Interview

Vor nicht einmal einer Minute umhüllte uns das lärmende Treiben auf dem Ku’damm in Berlin. Hier im Atelier von Richard Cordes (59) im legendären Haus Cumberland ist die Kakofonie der Großstadt weit entfernt. Und es braucht nicht sonderlich viel Fantasie, um gleich auf dem ersten Blick seine Passion zu erraten: Mode. Zwischen Stoffmustern, Schnittbögen, bekleideten Schneiderbüsten, alten Familienportraits und Schiffsmodellen sitzt Cordes, der in vierter Generation das Familienunternehmen Cordes & Sons führt, entzündet langsam eine Brick House und lehnt sich entspannt zurück. Das Interview kann beginnen.

Richard Cordes im Interview mit Lars von Rehbinder (Foto: Paulus Ponizak)
Richard Cordes im Interview mit Lars von Rehbinder (Foto: Paulus Ponizak)

Wie siehst Du die Menschen? Mit professionellem Blick auf ihr Äußeres?

Ich denke nicht in den Kategorien „Maßmensch“ oder „Konfektionsmensch“, bekleidungsaffin oder eher standardorientiert, bequem oder lässig – denn das sagt absolut null über den Charakter aus. Darum geht es auch nicht, wenn ich Menschen treffe. Aber natürlich interessiert es mich auch, wie der Anzug sitzt. Dann schaue ich auch mal genauer auf den Rücken, wie er fällt an den neuralgischen Stellen, wie die Hose sitzt. Das kommt meist intuitiv, aus der Neugierde heraus.

„Ein echter Horror für mich ist der Zuckerberg- oder Steve-Jobs-Look.“

Gibt es für dich „Modesünden“?

Ja, gibt es. Zum Beispiel im Sommer Wollmützen Indoor zu tragen. Der Look ist für mich Note sechs. Eine wirkliche Katastrophe. Soll aussagen: non-konform und unkonventionell. Was ich persönlich auch überhaupt nicht mag, ist ein sommerliches T-Shirt, mit einem Sakko zu kombinieren, dass dann aus Wolle ist. Bei TV-Reportern sehr beliebt. Soll zeigen: Lässiger Look, lässiger Typ. Ein echter Horror für mich ist der Zuckerberg- oder Steve-Jobs-Look. Beides ist kein Look. Es ist nichts. Es ist ein Hineinflüchten in ein kleines Loch.

Ist man in Deutschland zu unmutig, was Mode anbelangt?

Hier ist man zu mutig in dem, was definitiv keine Mode ist. Die Moderezeptoren sind bei vielen nicht angelegt. Da ist oft Hopfen und Malz verloren. Wenn man mit den Kulturaspekten der Mode nicht großgeworden ist, es einem zuhause nicht beigebracht wurde, ist es auch nicht einfach. Wenn man zum Beispiel nicht gesehen hat, wie sich der Vater aufwendig rasierte, wie er sich den mehrteiligen Anzug anzog, ihn nicht beobachte bei Schuheputzen – wie soll dann ein Verständnis für Qualität, für Stil, für Achtsamkeit entstehen?

Richard Cordes lebt und schneidert in Berlin (Foto: Paulus Ponizak)
Richard Cordes lebt und schneidert in Berlin (Foto: Paulus Ponizak)

Der Maßanzug ist also mehr als ein modisches Statement.

Es ist eine Frage der Haltung und des Genusses. Ähnlich wie bei einem guten Essen oder einer guten Zigarre und auch bei der Kunst: Man muss es sich leisten wollen, man muss sich selbst etwas Wert sein. Das spüre ich auch im Umfeld der Raucher, die gerne gute Zigarren rauchen. Es sind bewusste Genießer. Und bewussten Genuss brauchen wir heute mehr denn je.

„Man könnte an den Sattelitenbildern von Flüssen in Asien die Modefarben der nächsten Saison erkennen.“

Auch unter Nachhaltigkeitsaspekten?

Da besonders. Die Textilindustrie – vor allem in der Massenproduktion – steht unter Umweltgesichtspunkten in der Kritik. Zu Recht. Die Textilindustrie ist weltweit der größte Umweltverschmutzer. Noch vor der Schwerindustrie, vor den Emissionen der Haushalte. Man könnte an den Sattelitenbildern von Flüssen in Asien die Modefarben der nächsten Saison erkennen. Das ist definitiv der falsche Weg.

Was zeichnet einen Maßanzug gegenüber „von der Stange“ aus?

Der größte Unterschied ist die sogenannte Canvas-Verarbeitung, bei der die Brust, die Revere und der Kragen komplett mit Rosshaar unterfüttert sind. Das ist wie das Fundament eines Hauses. Das Rosshaar wird verwoben mit Baumwolle in einer Leinwandbindung, ein Gitter, auf das man dann den Futterstoff ansetzt. Darüber erst kommt die Außenware. Dadurch entsteht ein dauerhaft fester Verbund, der eine erhebliche Stabilität und Formtreue bedeutet. Der Stoff folgt so perfekt den Linien des Körpers. Dieses Canvas ist mit hunderten von kleinen Einzelstichen vernäht. Die Konfektion arbeitet mit einem Fließ, dass mit einer Frontfixierung einfach aufgeklebt wird. Ein weiterer Aspekt: Beispielsweise in Neapel gibt es Schneider, die ein Leben lang nur Knopflöcher machen. Das ist Perfektion. Genau die suche ich weltweit für meine Kollektion.

Wie gehst Du vor, um den perfekten Sitz zu erreichen?

Wir laden den Kunden in unser Atelier ein, wir nehmen maß. Jeder Kunde bekommt dann einen individuellen digitalisierten Schnitt, der deutlich exakter als herkömmliches Maßnehmen ist. Auf dieser Basis erfolgt der Zuschnitt. Dann gibt es einen Musteranzug, an dem ich dann Fragen der Körperhaltung erkenne: zurückgesetzte Schulter, vorgedrückte Hüfte, unterschiedliche Schulterhöhen, starker Brustkorb, enger Brustkorb, langer oder kurzer Hals, Lange oder kurze Arme und Beine, flaches Gesäß, nach hinten gedrücktes Gesäß – insgesamt reden wir von 400 Doppelseiten, mit unterschiedlichen Fit-Tools.

„Ich will den Kunden nicht verkleiden!“

Welche Rolle spielt der Stoff?

Wir verarbeiten Materialien, die im Massenmarkt nicht verfügbar sind. Im Massenmarkt geht es um zehntel Cent im laufenden Meter. Wir sind in anderen Dimensionen unterwegs. Der Unterschied ist also nicht nur der Schnitt, sondern auch der Materialeinsatz. Beides führt zu Langlebigkeit und Unabhängigkeit von Modezyklen. Ein Maßanzug sieht immer aktuell aus. Auch nach 20 Jahren.

Richard Cordes entzündet langsam eine Brick House (Foto: Paulus Ponizak)
ichard Cordes entzündet langsam eine Brick House Zigarre (Foto: Paulus Ponizak)

Wie gehst Du vor?

Zunächst erkennen viele die Reise gar nicht, die sie eingehen in der Verbindung mit dem Schneider. Die Reise beginnt damit, den Kunden zu lesen. Ich will ihn ja nicht verkleiden, er soll danach nicht auf die Bühne oder in die Manege. Er soll einfach er selbst sein, und die Persönlichkeit soll unterstrichen werden. Auch als Teil und Beleg der Kulturkenntnis.

Da scheint auch der Kunde gefordert…

Klar, der Kunde ist bei mir etwas mehr gefordert. Aber derjenige, der den Weg durch diese Tür gemacht hat, den kann ich auffangen. Und es besteht natürlich keine Pflicht, sich bei mir einen Anzug zu bestellen. Es ist ein Angebot, dass ich unterbreite. Ich kann den Schnitt entwickeln, die Details erläutern, Stoffe und Muster zeigen. Es gibt tatsächlich ganz, ganz wenige, die sich das dann noch überlegen, denn der Grundgedanke für Veränderung, war ja schon da. Heute sind 90 Prozent meiner Kunden Stammkunden.

„Der Anzug ist ja nicht aus Beton.“

Ohne Vertrauen wird es dabei nicht gehen.

Ja. Es ist ein Tête-à-Tête zwischen dem Kunden und mir. Ich kann seine Vorstellung aufgreifen, kann ich ihn unterstützen, einen Anzug individuell zu konstruieren. Wie es sich final anfühlt, kann nur der Kunde selbst wahrnehmen. Deshalb auch der erste Entwurf nebst Anprobe, an dem wir die Stellschrauben gemeinsam verändern. Der Anzug ist ja nicht aus Beton. Er ist genäht. Wo eine Naht gesetzt ist, lässt sie sich wieder öffnen. Die Erfahrung des Trägers in den ersten Tagen, Wochen, nehmen wir mit.

Was geht in der Herrenmode immer?

Die Basis wird sicher immer funktionieren: dunkelblauer, dunkelgrauer Anzug, der natürlich etwas edler und besser fällt. Wenn er richtig sitzt, mit entsprechendem Tuch, schöne Knöpfe hat, aus Perlmutt am besten, und mit einem edlen Innenfutter, ist die Basis da. Allgemein weichen die Grenzen jedoch auf. Heutzutage ist zum Beispiel in Berlin ein gut sitzendes Hemd der Anzug von gestern. Es wird entspannter, lässiger. Sneaker passen mittlerweile auch mal zum Anzug. Aber es geht um den Look insgesamt. Es gibt Punker, die auch einen guten Look haben. Weil der Look seine Persönlichkeit zeigt, seine Welt. Das finde ich richtig gut. Denn es immer spannend, wenn sich jemand Gedanken macht um seine Außenhülle!

Weitere Informationen finden Sie unter https://cordes-sons-com.myshopify.com
 
Das Interview führte Lars von Rehbinder, Journalist und unser freier Autor in Berlin.

 

Mehr über Mode und Zigarren gibt es im Themenheft „à la mode“ zu lesen. Noch kein Abonnent? Hier lässt sich das Magazin kostenlos bestellen.

Datum: 06.12.2021

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