Herr Heuser denkt europäisch

… und fragt sich, wie man Käsefondue isst. Die kabarettistische Kolumne von Gernot Voltz aus dem Themenheft „Schweiz“ (Ausgabe 1/2012) gibt es jetzt auch im Blog zum Nachlesen. Viel Vergnügen.

Herr Heuser denkt europäisch

Schönen guten Tag zusammen,

Heuser ist mein Name, Oberamtsrat. Die Schweiz ist ja das Thema dieses Heftes und das ist ein Land, auf das ich gar nicht so gut zu sprechen bin. Es gibt nämlich jetzt ein Steuerabkommen mit der Schweiz, dass deutschen Steuerflüchtlingen ihre Geldanlage dort sehr viel unattraktiver macht. Das bedeutet für mich als Steuerfahnder sehr viel weniger Dienstreisen in dieses schöne Land, die ich sehr genossen habe, zumal dabei immer mal eine Bergwanderung einschließlich Hochalmbegehung – ausgewiesen als steuerliche Feldforschung zum internationalen Abgrasverhalten – drin war. Im Übrigen ist auch die Langsamkeit der Schweizer nur ein Vorurteil. Ich war letztens noch wegen einer Fahrkarte für eine dieser Dienstreisen in einem Reisezentrum der Deutschen Bahn. Also dagegen ist ein Schweizer Postamt ein Teilchenbeschleuniger.

So muss ich mich also in meiner Arbeit in diesem Jahr mehr aufs Inland konzentrieren und das fällt mir schwer, vor allem wegen einiger Äußerungen von Angela Merkel. Immer wenn ich sie sehe und höre, befällt mich der Verdacht, vielleicht nimmt sie eines Tages die Perücke ab und es ist doch Günter Wallraff. Oder können Sie sich sonst erklären, warum Frau Merkel jetzt sogar Verständnis für die „Occupy Wall Street“-Bewegung hat? Da benutzt diese Regierung seit Jahren unsere Steuergelder, um damit wegen der Finanz- und Euro-Krise irgendwelche Banken zu retten, und Frau Merkel hat jetzt Verständnis für den Protest in den Bankenvierteln. Klar, ich kann auch jemand mit dem Hammer auf den Kopf hauen und sagen: „Ich habe vollstes Verständnis dafür, dass Sie jetzt Kopfschmerzen haben!“

Herr Heuser denkt europäischJetzt sagen viele Politiker, die „Occupy“-Protestler würden ja gar nicht verstehen, wogegen sie eigentlich protestieren. Nun ja, auch ich verstehe nicht alle Details und das hat ja auch Methode, aber die große Richtung ist doch nicht schwer zu begreifen. Ich muss ja auch keinen Euter haben, um zu wissen, wie Milch gemacht wird. Die Menschen haben einfach keine Lust mehr, jeden zweiten Tag Zahlen zu hören, die sie nicht verstehen, präsentiert von Leuten mit der Ausstrahlung albanischer Hütchenspieler. Und dann müssen sie von ihren Steuergeldern Schulden bezahlen, die sie gar nicht gemacht haben. Demnächst gibt es eine neue Fernsehsendung, „DSDS“–„Deutschland sucht den Superschutzschirm“, jede Woche zehn Milliarden Euro mehr. Kein Problem, der Steuerzahler hat’s ja und ich als Finanzbeamter soll es eintreiben.

Aber das Geld wird ja gebraucht für den Euro-Schutzschirm, abgekürzt EFSF – European Financial Stability Facilitiy. Ich hätte einen schöneren Namen für den Rettungsfonds: LIES. Ein englisches Wort, das international verstanden wird, es heißt übersetzt „Lügen“. Es steht als Abkürzung für „Legalisierte Insolvenzverschleppung europäischer Staaten“. Denn dieser Fonde gibt ja die Milliarden den angeschlagenen Ländern so lange, bis die damit wiederum bei den Banken ihre Staatsanleihen ausgelöst haben, die diese von dem Geld gekauft haben, das der Steuerzahler ihnen im Rahmen der Bankenrettung schon vorher netterweise überlassen hat.

Da werden in den betroffenen Ländern Sozialausgaben gekürzt, Bildungseinrichtungen geschlossen, Renteneinlagen vernichtet, aber das reicht den Banken und Hedgefonds noch nicht. Herr Ackermann hat wörtlich gesagt, das Problem sei nicht die Verschuldung der Banken, sondern dass die Staatsanleihen nicht mehr risikofrei seien. Das finden die Banken gemein, dass sie beim Spekulieren auch selber das Risiko tragen müssen, das wollen die nicht. Verstehen Sie, was Herr Ackermann stattdessen möchte? Er will sich besaufen, aber wir sollen für ihn kotzen!

Und nun sagt Brüssel: „Da können wir helfen, wir haben ja den Hebel.“ Das bedeutet, der Euro-Schutzschirm gibt mit seinen 750 Milliarden Euro den Banken, die Staatsanleihen kaufen, eine 30-prozentige Zahlungsausfallgarantie, so dass die mehr Staatspapiere kaufen können, als sie eigentlich Kapital haben, und so will man bis zu einer Billion Euro bewegen ohne ein Risiko – für die Steuerzahler? Nein, für die Banken. Wir Steuerzahler sitzen doch am längeren Hebel, aber am falschen Ende. Mit uns wird gehebelt. Also wenn Sie demnächst so ein Reißen in den Gliedern verspüren, dann ist das kein Rheuma, sondern da setzt Brüssel gerade den Hebel an!

Diese Investmentbanken und Hedgefonds ziehen uns dermaßen das Fell über die Ohren, dagegen ist Hannibal Lector ein Heilpraktiker. Also ich kann die Leute verstehen, die vor den Finanzpalästen demonstrieren. Abends singen sie dann die alten Bankenviertel-Lagerfeuerlieder, „Nehmt Abschied, Banker, ungewiss ist eure Wiederkehr …“ zum Beispiel. Meinen Segen haben sie, sie dürfen dann ihr Zelt auch als doppelte Haushaltsführung absetzen.

Wenn man das alles betrachtet, ist es von der Schweiz vielleicht klug gewesen, sich nicht an die Europäische Union gebunden zu haben. Aber jenseits aller Finanzprobleme möchte ich hier schnell noch eine private Frage an die Schweiz loswerden. Wie, bitte schön isst man Käsefondue? Ich habs wirklich probiert, herausgekommen ist die Schweizer Version der Laokoon-Statue, statt Schlangen gab es Gruyère-Fäden. Da lobe ich mir doch eine gute Davidoff. Die zieht sich auch, aber eben auf eine sehr viel angenehmere Weise.

In diesem Sinne: Ihr Herr Heuser

Datum: 08.06.2012

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