„Herr Heuser vom Finanzamt“ alias Gernot Voltz meint: Wenn die Freizeit stressiger wird als die Arbeitszeit, stimmt was nicht. Die satirische Kolumne aus der Alles André Ausgabe „Zeit“ gibt es jetzt hier zum Lesen.
Schönen guten Tag,
Heuser ist mein Name, Oberamtsrat. Zeit spielt natürlich auch bei uns im Finanzamt eine große Rolle, vor allem die Arbeitszeit, die auch bei uns selten ausreicht. Ich sehe jetzt schon wieder die Vorurteile um die Ecke kommen, getreu dem Spruch: Wie nennt man einen Beamten, der auch am Wochenende arbeitet? Siebenschläfer.
Das ist natürlich falsch, auch unser Job ist anstrengend. Akten schleppen im Außendienst, dazu intensive Steuer- und Bilanzprüfungen oder aufgebrachte Bürger, die einem schon mal den Posteingangsstempel entführen, um ihn erst gegen eine erhöhte Werbekostenpauschale wieder frei zu lassen. All das macht unsere Arbeit durchaus stressig. Deswegen sind auch wir froh, wenn nach Dienstschluss die Freizeit auf uns wartet, in der man dann Ausgleich und Entspannung finden kann.
Viele Kollegen versuchen sich durch Sport fit zu halten, zum Beispiel mit Nordic Walking. Die Hälfte der Belegschaft kommt inzwischen mit zwei Stöcken zum Dienst. Vorgestern hatten wir vor dem Haupteingang eine Massenkarambolage, 58 Nordic Walker sind ineinandergerauscht. Das sah aus wie eine Weltmeisterschaft im Riesenmikado.
Aber der absolute Trend ist Marathon. Jeder bei uns, der einigermaßen gerade einen Schritt vor den anderen setzen kann, läuft Marathon.
Letzten Montag komme ich ins Finanzamt, stehen 12 Kollegen im Flur mit runtergelassenen Hosen und fummeln sich im Schritt rum. Ich denke, was ist hier los, üben die für die nächste Vorsorgeuntersuchung? Nein, die haben sich gegenseitig ihren Wolf gezeigt, den sie sich am Wochenende auf irgendeinem Marathon gelaufen haben. Da waren Oberschenkel dabei – so blutig würden Sie ihr Steak nicht essen.
Und die älteren sind besonders heiß. 60-jährige Männer wetzen während des Trainings wochenlang in hautengen metallicblauen Stretchjogginghosen durch den Stadtpark wie ein Eisvogel mit einem Knallfrosch im Hintern. Die Blasen an ihren Füßen sind größer als der Airbag in einem Kleinwagen. Und das nur, um sich dann an einem Tag 42 Kilometer lang alle 10 Minuten einen Liter lauwarme Apfelschorle ins Gesicht klatschen zu lassen.
Mein Kollege Gerber meinte letztens zu mir, ich sollte das auch mal machen. Wenn man einen Marathon läuft, kämen Glücksgefühle hoch. Ich sage, Glücksgefühle habe ich, wenn ich meine Klarsichthüllen wieder von innen geputzt habe. Außerdem halte ich das sowieso nicht durch. Dafür gäbe es ja Hilfsmittel beim Training, meinte er, z. B. die Elektronik. Beim Laufen hat er nämlich am Handgelenk eine computergesteuerte Touch-Screen-Pulsuhr mit integrierter Festplatte und 867 Funktionen, dazu über der Brust ein Hochfrequenz-Sensor-Band und in jeder Ferse vom Laufschuh einen Intel-8-Prozessor und alles ist vernetzt. Ich vermute mal, dieses System berechnet exakt, bei welchem Kilometer man wegen Herz-Kreislauf-Kollaps als Organspender in Frage kommt.
Aber Kollege Gerber hat sich nicht beirren lassen und mir sein System mal leihweise angeboten. Ja, ich habe es ausprobiert und bin voll vernetzt bei uns durch die Siedlung getrabt. Leider habe ich auf dieser Pulsuhr anscheinend einen falschen Menüpunkt gedrückt. Jedenfalls fiel prompt in der ganzen Siedlung das WLAN aus, an 8 Garagen ging das elektrische Tor hoch und Opa Schmitz bretterte mit seinem elektrischen Rollstuhl mit über 50 km/h quer durch den neuen japanischen Garten von meinen Nachbarn.
Ehrlich gesagt ist mir das alles zu anstrengend. Ich entspanne in meiner Freizeit immer noch am besten bei einer CHAZZ.
Das ist zwar nicht sehr bewegungsintensiv, aber beim vorsichtigen Abdrehen der Asche trainiere ich immerhin meine Feinmotorik und das mag dann an manchen Abenden genügen.
In diesem Sinne
Ihr Herr Heuser