Herr Heuser im Stresstest

„Herr Heuser vom Finanzamt“ fährt Eisenbahn. Und entgleist. Die kabarettistische Kolumne von Gernot Voltz aus dem Themenheft „Die Magie der Maschine“ gibt es jetzt auch im Blog zum Nachlesen.

Herr Heuser im Stresstest

Schönen guten Tag zusammen,

Heuser ist mein Name, Oberamtsrat. Beim Thema dieses Heftes muss ich sofort an die Maschinen denken, mit denen ich auf meinen Dienstreisen viel zu tun habe, die ICEs. Mal davon abgesehen, dass ich die alten, romantischen Raucherabteile in den Zügen vermisse, in denen sich deshalb öfters Ehen anbahnten, weil man das Gegenüber gar nicht mehr sah, bin ich auch sonst mit diesem technisch so hochgerüsteten Fuhrpark und seinen Betreibern nicht besonders zufrieden.

Ein ICE bleibt stehen, weil eine Tür zugefroren ist, aber es werden Milliarden in ein angebliches Jahrhundertbauwerk wie Stuttgart 21 investiert. Das ist, als wenn mein Auto so verrottet wäre, dass es nicht mehr durch den TÜV kommt, aber ich lasse mir erstmal eine Tiefgarage bauen.

Stuttgart 21 ärgert mich vor allem aus steuerlicher Sicht so sehr, dass hier kaum eine Zigarre zur Beruhigung hilft. Eine halbe Innenstadt inklusive Schlossgarten und altem Baumbestand wird in Schutt und Asche gelegt, um einen funktionierenden 16-gleisigen Kopfbahnhof abzureißen, der dann 30 Meter tiefer auf 8 Gleise verkleinert wird, was zu Zugstau und einer Verschlechterung der Regionalverbindungen führt, nur damit eventuell ein ICE mal 12 Minuten früher in Ulm ist. Wenn ich eine halbe Stunde eher in Ulm sein will, nehme ich einen Zug früher.

Herr Mappus behauptet, das Projekt kostet 4,2 Milliarden, der Bundesrechnungshof spricht von 5,6, neutrale Gutachter von 8,7 Milliarden. Ich sage ihnen, es heißt Stuttgart 21, weil die Baukosten mindestens 21 Milliarden betragen werden und die zahlen wir alle, also der Steuerzahler. Das ist so sicher wie die 2,3 % für die FDP bei der nächsten Landtagswahl.

Da wundert sich Herr Mappus, dass die Bürger demonstrieren und fährt Wasserwerfer auf, um die Leute abzuschrecken. Aber im Gegenteil, jetzt sind die Demos erst recht voll. Ist doch klar, das sind Schwaben, wenn die irgendwo umsonst duschen können, sind die da.

Herr Heuser im StresstestUnd Bahnchef Grube hat wörtlich gesagt, es gäbe kein Recht auf Widerstand gegen einen Bahnhof. Ich vermute, Herr Grube hat das Grundgesetz umgeschrieben. Artikel 1 lautet jetzt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar – außer am Service Point!“

Dann kommt Heiner Geisler, dieser Jesuiten-Winnetou im Vorruhestand und fällt folgenden schlichten Spruch, also Schlichterspruch: Die Bahn soll einen Stresstest durchführen, also den Nachweis erbringen, dass der Tiefbahnhof leistungsfähiger ist als der andere und wenn das nicht gelingt, wird er … nicht gebaut? Falsch, dann kriegt er 2 Gleise mehr. Also wenn Stuttgart 21 sich als untauglich herausstellt, wird es vergrößert. Anders gesagt, wenn ich Krach mit meiner Frau habe, lade ich, um die Situation zu verbessern, noch meine Schwiegermutter ein. Das nenne ich mal einen Kompromiss.

Die Bahn macht doch schon lange einen Stresstest, und zwar mit mir, dem Fahrgast, und das vor allem im Winter. Aber die ICEs sind eben hochsensible Hightech-Züge. Da schlottert die Elektronik ja schon, wenn er nur an einem Langnese-Fähnchen vorbeifährt. Und im Sommer ist es anders herum. Wenn es zu heiß wird, 18 Grad, dann schafft das die Klimaanlage nicht mehr. Frauen in den Wechseljahren dürfen ja nicht mehr mitfahren, eine Hitzewallung und der ICE bleibt stehen. Und immer die Verspätungen. Was glauben sie, wie viele Selbstmörder sich inzwischen was zu lesen mitnehmen, wenn sie sich auf die Schienen legen?

Wenn man nur einen Bruchteil der Milliarden für Stuttgart 21 stattdessen in die offensichtlich verbesserungswürdige Zugtechnik investiert, dann würden die Züge nicht nur losfahren, sie würden auch ankommen – und zwar pünktlich. Was das für Sie ganz konkret bedeutet? Sie wären im Schnitt 12 Minuten früher in Ulm.

In diesem Sinne sage ich, lieber einen Kopfbahnhof mit einer zugigen Raucherecke als einen Tiefbahnhof, der schon durch die qualmenden Socken herum – irrender Fahrgäste Belüftungsprobleme bekommt.

Ihr
Herr Heuser

Datum: 10.08.2012

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